Unzählige Male flogen die blauen Schilder mit der weißen Schrift bei Tempo 120 nahezu an den Autoscheiben vorbei. Mühlhausen. ‚Da will ich mal hin‘, waren regelmäßig meine Gedanken auf der Autobahn 38, auf dem Weg nach Sachsen oder in die Lausitz. Und jedes Mal dachte ich an das Pflaumenmus – klassisch oder stückig – im Vorratsschrank. Eine traumhafte Kleinstadt soll es sein, hörte ich. Mehr nicht – fast schon geheimnisumwittert wie die streng gehütete Rezeptur des Fruchtaufstrichs.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Pressereise der Thüringer Tourismus GmbH.
Mühlhausen: Kirchen – Könige – Konditoren
Als wir im Blobach aus dem Bus steigen, fällt der Blick auf eine gar nicht so unbekannte Silhouette: das Frauentor und die Stadtmauer – leider in herbstlichem Grau unter trübem Himmel. Etwas anders als das tief dunkle Blau vor dem Gelb der untergehenden Sonne, das die Gläser des Marmeladenherstellers ziert.
Wir, das sind neun Journalisten, die den Spuren Martin Luthers in Thüringen folgen. Leben und Wirken seines Wegbegleiters und späteren Widersachers Thomas Müntzer sowie die Bauernkriege haben uns ins Nordthüringische geführt: an den Rand des Nationalparks in der Welterberegion Wartburg Hainich, in diesen dünn besiedelten Landstrich weit ab der Autobahnen 38 und 4, bisweilen zu weit von der Abfahrt für einen Stopp während der Reisen.

Eine Stunde später staunen die Berichterstatter über den ihnen durchweg bislang unbekannten Ort. „Er erinnert mich an Rothenburg“, spricht die Kollegin aus Wien meine Gedanken aus. „Mühlhausen ist im Original erhalten und nicht wieder aufgebaut“, klärt uns Thomas T. Müller auf. „Die Engländer haben ihre Bomben am Ende des 2. Weltkriegs nicht abgeworfen, weil die Sowjetarmee bereits vor den Toren der Stadt stand.“ Der Direktor der Mühlhäuser Museen führt uns durch die Stadt und ist durchaus ein wenig stolz.
Sanierung durch öffentliche und private Hand
Dreieinhalb Kilometer lang ist die Stadtmauer, die den historischen Kern umschließt – 300 Meter davon begehbar. In den Türmchen, die Teile des Wehrgangs sind, muss ich immer wieder den Kopf einziehen – trotz meiner nicht sonderlichen Körpergröße. Sie sind Teil des Museums: Gestaltete kleine Räume erzählen Geschichten vom Leben in Mittelalter und früher Neuzeit sowie von der Wehrhaftigkeit. Oben, auf dem Rabenturm neben dem Frauentor öffnet sich das Panorama über eine faszinierende Stadt mit ihrer geschlossenen historischen Bebauung. Eine Stadt, die an jeder Ecke Geschichte und Geschichten erzählt – zu viele für einen Blogbeitrag.

Mühlhausen profitiere von der derzeitigen Niedrigzinspolitik in Europa, erfahren wir. „Die Leute investieren in Immobilien, weil sie für Geldanlagen keine Zinsen bekommen. Das ist gut für’s Stadtbild.“ Die Stadt selber tut ein Übriges: Einen großen Teil der öffentlichen Sehenswürdigkeiten hat sie mit Unterstützung von Partnern bereits saniert.
Höchste Kirche Thüringens
Kurios die Anzahl der profanisierten Gotteshäuser: sieben an der Zahl, allesamt im gotischen Baustil. „Wir sind wohl die Stadt mit den meisten umgewidmeten Kirchen“, vermutet Müller. Sie werden heute zumeist kulturell genutzt: als Bauernkriegsmuseum, als Stadtbibliothek oder als Zentrum für Kunst, Kultur und Kommunikation.

Wir stehen mittlerweile vor dem Turm der Marienkirche, deren beeindruckende Fassade mich an gotische Kathedralen in Frankreich erinnert. Der Turm ist hoch, sehr hoch. „Die höchste Kirche Thüringens“, klärt Thomas T. Müller auf, „und die zweitgrößte Kirche nach dem Erfurter Dom“.

Das Innere versetzt mich in Staunen. Der regionale Tavertin-Stein, aus dem die Kirche erbaut wurde, taucht den fünfschiffigen Innenraum in ebenso helles wie warmes Licht. Auffällig die modernen Stuhlreihen, die die gotische Architektur aufgreifen. Die Zeit ist viel zu kurz, um all die kunsthistorischen Schätze näher zu betrachten: der Hochaltar aus der Zeit nach 1525, der Marien- und der Nikolausaltar in den Seitenschiffen.
Prominente Patrone
Ins Auge fallen die Figuren an den Pfeilern der Vierung, die Maria mit dem Jesuskind und die Heiligen Drei Könige zeigen. Letztere ein Hinweis auf das anzunehmende Stadtpatrozinium der Weisen aus dem Morgenland – ebenso wie ein weiterer außen am Südportal. Vitrinen, Büsten und Schautafeln im nördlichen Seitenschiff erinnern an Thomas Müntzer – die Marienkirche, heute eine Gedenkstätte. Der Reformator und Revolutionär predigte hier.

Wir verlassen das Innere und stehen vor dem Südportal. Der Haupteingang im Querhaus ist gewaltig. Vom Scheinaltan in der Mitte blicken Kaiser Karl IV., seine Frau Elisabeth von Pommern sowie eine Hofdame und ein Höfling auf den Platz. Eine Analogie zum Veitsdom in Prag, den Karl IV. im 14. Jahrhundert bauen lies. Dessen berühmte goldene Pforte ist ebenfalls ein Südportal und zeigt kunsthistorische Parallelen. Der in Mühlhausen auch Dreikönigs- oder Ratsportal genannte Haupteingang führt unmittelbar mit einem kleinen Schlenker zum Rathaus.
Atemraubende Zeitreise
Das liegt ziemlich exakt im Zentrum des mittelalterlichen Stadtkerns. Ein Stein auf der Ratsstraße kennzeichnet ihren Mittelpunkt und den der darüber liegenden großen Ratsstube. „Die zentrale Lage ist bewusst. Man wollte damals keinen Stadtteil durch die Nähe privilegieren“, erklärt Thomas T. Müller.

Das Gebäudeensemble aus Gotik, Renaissance und Barock, die umliegenden Fachwerkhäuser und der kanalisierte Lauf des Pöpperöder Bachs – eine Zeitreise. Mittelalter und frühe Neuzeit wie im Film – atemraubend! Jetzt die Zeit anhalten – oder, besser noch: erneut herkommen.
Lecker: Müntzers Mütze
Eine Straßenkreuzung weiter erstreckt sich linkerhand der Kornmarkt mit gleichnamiger (ehemaliger) Kirche. Im Inneren des heutigen Veranstaltungszentrums: das Bauernkriegsmuseum. Es bietet eine ergänzende, interessante Sicht auf die Reformation mit den weniger prominenten theologischen Mitstreitern Luthers. Durchaus jetzt schon im Fokus: das 2025 bevorstehende Gedenkjahr an den Tod Müntzers und die Bauernkriegsschlacht bei Frankenhausen.

Zeit für Kaffee und Kuchen! – Wo anders als im einzigen Café mit angeschlossener Konditorei weit und breit? In dritter Generation führt Torsten Schikore das gleichnamige Café am Untermarkt in der Erfurter Straße. Er kredenzt „Müntzers Mütze“ – ein dreieckiges Gebäck aus Mürbeteig, gefüllt mit Marzipan und Mühlhäuser Pflaumenmus; die Ecken der markanten Mütze getunkt in Zartbitter-Schokolade. Der Geschmack interessant – das Gebäck auf jeden Fall lecker!
Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach
Die Alternative zur Mütze: Ottilien-Torte, benannt nach Müntzers Ehefrau. Oder, für Naschkatzen: Unstrutschlamm, „in kühlen Vollmondnächten an klaren und stillen Uferstellen geschöpft“, verrät die Website. „Man muss auf die richtige Mischung zwischen Jung- und Altschlamm achten.“ Ganz analog und real im Café ist Torsten Schikore nicht weniger charmant-spitzbübisch, hintergründig und kommunikativ – ein Erlebnis!

Nicht weit entfernt, auf der Westseite des Untermarkts liegt die Kirche Divi Blasii, an der 1707/08 Johann Sebastian Bach wirkte. Der Kirchbau aus dem 13./14. Jahrhundert ist die erste große gotische Kirche Mitteldeutschlands – und wie die Marienkirche erbaut vom Deutschen Orden.

Museal – dabei didaktisch modern
Am südlichen Seitenschiff vorbei laufen wir zum Kulturhistorischen Museum. Drei Dauerausstellungen beherbergt das Haus: Neben zeitgenössischer Kunst sowie Ur- und Frühgeschichte des Unstrut-Hainich-Kreises zeigt es die Stadtgeschichte.

Beeindruckend das Konzept: die Konzentration auf wenige, aber desto eindrucksvollere Exponate und Schautafeln. Didaktisch interessant: Jede Abteilung hat einen interaktiven Kinderbereich, der den Nachwuchs analog zum Abteilungsthema beschäftigt, während die Erwachsenen in Ruhe schauen und staunen können.
Entlang der südlichen Stadtmauer spazieren wir zurück zum Bus. Mühlhausen: Wieder am Frauentor fällt der Blick zurück auf die mittlerweile beleuchtete, markante Silhouette der mittelalterlichen Stadt.

Ich werde zurückkehren: als Städtetourist, als Radler oder als Wanderer auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda. Und aller Voraussicht schon 2017: zum 1050-jährigen Bestehen Mühlhausens.
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Tourist-Information Ratsstraße 20 99974 Mühlhausen Öffnungszeiten Ostern - Okt. Mo-Fr: 09:00 - 17:00 Uhr Sa, So, Feiertag: 10:00 - 16:00 Uhr Nov. - Ostern Mo-Fr: 09:00 - 17:00 Uhr Sa: 10:00 - 14:00 Uhr Telefon 03601 / 40477-0 E-Mail senden Weitere Informationen | ![]() |
Mühlhausen im Radio
Dieser Blogartikel begleitet einen Beitrag im Sonntagsmagazin „kreuz & quer“ bei Radio MK mit Moderatorin Sabine Langenbach zum Dreikönigstag 2016. Zu hören ist „kreuz & quer“ Sonntagsmorgens zwischen acht und neun im Livestream – oder im Mitschnitt als Podcast noch einmal hier:
Beitrag Mittelalterliches Kleinod: Mühlhausen
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