Im 12. Jahrhundert Wohnstätte der Heiligen Elisabeth. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schauplatz zweier Treffen der deutschen Burschenschaft. 1521/22 Versteck von Martin Luther alias „Junker Jörg“. Die Wartburg ist zweifelsohne so etwas wie ein Nationaldenkmal – und seit 1999 Weltkulturerbe. Die sechste Station unserer Reihe „Orte der Reformation“.
Die Eisenacher Innenstadt ist gesperrt. Gruppen von Menschen queren die Straßen: mit Rucksack, teilweise mit Stock, in funktionaler Kleidung. Unser Weg auf den Berg am nördlichen Ende des Rennsteigs kreuzt mit der Route der Teilnehmer am 117. Deutschen Wandertag. In Schrittgeschwindigkeit fahren wir am Martin-Luther-Gymnasium, dem ehemaligen Dominikanerkloster, vorbei. Hier endete unser Stadtbummel auf den Spuren Luthers durch die Altstadt von Eisenach.
Steiler Anstieg
Am Schloßberg, unweit der Kreuzkirche finden wir einen Parkplatz. Hier beginnt der steile Weg hinauf zur Wartburg. Tafeln begleiten uns: der Eisenacher Lutherpfad. Gemälde – von Cranach bis zu Künstlern des 19. und 20 Jahrhunderts – und kurze Informationstexte führen uns über Martin Luthers Lebensweg.
Das erste Stück bis zur Eselstation ist steil – aber lohnenswert. Jede Tafel bietet eine kurze Verschnaufpause auf diesem Teil des Lutherwegs durch Thüringen.
Die Eselstation ist – alpin gesehen – eine Mittelstation. Kein Lift, aber wer mag nimmt ein Lasttier für den letzten steilen Anstieg zur Burg. Es sind – natürlich – Kinder, die die reizvollere Variante bei ihren Eltern einfordern.
Hier unten an der Station sind auch die Parkplätze für Besucher, die einen kürzeren Fußweg bevorzugen. Der Tross der Bergwanderer wird auf den letzten Kehren dichter. Die ersten Mauern am Rande des gepflasterten Weges weisen auf das nahegelegene Ziel hin.
Schneller Einlass
„Wie voll wird es in diesem Sommer?“ Diese Frage trieb mich schon im letzten Herbst im Rahmen einer Pressereise der Thüringer Tourismus GmbH um. Damals gab es Gruppen-Führungen im 10-Minuten-Takt. Audio-Guides, erfuhr ich, sollen im Reformationsjahr für Entlastung und mehr Flexibilität sorgen. Machbarkeitsstudien sagten eine Kapazität von 500.000 Besuchern voraus. 350.000 sind es in „normalen“ Jahren. „Damit sind wir weltweit die am meisten besuchte Luther-Gedenkstätte“, erklärt Pressesprecher Andreas Volkert.
Schon an dieser Stelle: Bei unserem Besuch zeigt sich, wie durchdacht die logistischen Vorbereitungen sind. Es ist Freitag und ein auch durch den Wandertag gut frequentierter Besuchertag. Die Warteschlange an der Kasse ist kurz, die angekündigte Zeit bis zum Einlass mit 20 Minuten geringer als erwartet.
Wie alle Besucher nutzen wir die Zeit, um Rucksack und Jacken im eigens eingerichteten Schließfachbereich nahe der Einlasskontrolle zu verstauen. Und einen Blick auf einen rekonstruierten Reisewagen zu werfen. So mühselig und unkomfortabel waren Reisen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Heutige Stunden im ICE waren damals Tage auf ungepolsterten Holzbänken.
Schlüssige Lösung
In einem Zelt auf dem zweiten Burghof treffen sich die Besucher. Ist der Einlass noch durch die Größe der Gruppe geregelt, löst sich die Ansammlung anschließend schnell auf. Ein Vorteil entgegen der bis zum Mai üblichen Führungen: Jeder entscheidet für sich das Tempo, wie lange er in welchem Raum verbleibt.
Die Wartburg im Reformationsjahr lockt Besucher mit unterschiedlicher Motivation: Besucher der Burg und ihrer (kultur)historischen Schätze, Besucher der nationalen Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ und „Lutheraner“, die dem Versteck des Reformators einmal ganz nahe sein wollen.
Der Audioguide bedient alle Wünsche und Motivationen. Der Besucher kann zwischen drei Zifferngruppen wählen. Eine Schleife informiert über die Wartburg selbst, eine zweite über die Sonderausstellung, die dritte das Kind, das eine spannende Erzählung über die Geschichte der und das Leben auf der Wartburg hören will.
Eine ebenso schlüssige wie angenehme Lösung. Mit dem individuellen Tempo der Besucher zerstreut sich der Andrang an den Vitrinen und Schautafeln. Gleich der Anfang zeigt original Handschriften und Bibeldrucke aus der Zeit Luthers. Beeindruckend.
Kritischer Blick
Die Enge der Sonderausstellung folgt einer Erfahrung aus der einige Jahre zurückliegenden Elisabeth-Ausstellung: „Die zentralen Räume haben wir frei gelassen“, erklärt Jutta Krauß uns nach unserem Rundgang. Jutta Krauß leitet die wissenschaftliche Abteilung der Wartburg.
Sie weiß: Auch oder vor allem im Reformationsjahr kommen viele Besucher eben zu allererst, um die prachtvollen Räume der Wartburg zu sehen – Elisabeth-Kemenate, Sängersaal und Festsaal. Andächtig ist die Stille in der Elisabeth-Kemenate: Auch bei meinem vierten Besuch beeindrucken mich die Szenen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth in den prachtvollen Mosaiken. Sie lebte 400 Jahre vor Luther hier oben auf der Burg.
Die Sonderausstellung besticht dagegen durch ihre Transfer-Leistung. Sie holt den Besucher bei den historischen Ereignissen der Reformation ab und begleitet ihn durch die Jahrhunderte bis in die jüngste Zeit. „Wir wollen bewusst auch einen kritischen Blick auf Luther werfen“, sagt Jutta Krauß.
Konsequent zeigt die Schau die durchaus unterschiedlichen Strömungen und Positionen der Reformation – und ihre Auswirkungen bis in die unterschiedlichen Ausprägungen des Protestantismus und der heutigen christlichen Konfessionen.
Weniger Stube – eher Appartement
Die Ausstellung ist sehr komplex und differenziert, lenkt – von Raum zu Raum – den Fokus auf Teilaspekte: die Bauernkriege etwa oder das Verständnis von Ehe und Familie. Die Reformation – an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit: mit ihren Auswirkungen auf Religion, Staat und Gesellschaft. Ihre Stärke: Sie liefert die Erklärungsansätze oder -muster für unsere heutige Zeit. Stark.
Dezent nähert sich der Weg dem Höhepunkt des Rundgangs. Das Ziel all derjenigen, die wegen des authentischen Orts im Leben von Martin Luther hergekommen sind. Die Führung endet im westlichen Fachwerkgebäude des ersten Burghofs. Hier liegen die Lutherstube und ihre Nebenräume. In diesem „Appartement“ – wie Jutta Krauß pointiert sagt – lebte Luther 1521/22, versteckt als „Junker Jörg“. Hier übersetzte er das Neue Testament ins Deutsche.
„Weitgehend authentisch“
Lediglich das Schreibpult in der Lutherstube ist durch ein Band vor der überbordenden Neugierde der Lutherfans abgesichert. Der Tisch ist eine Spende der Familie Luthers, stammt aber aus der Zeit um 1600. Der originale Tisch brach irgendwann im 19. Jahrhundert zusammen, nachdem Verehrer der Reformation ihn – quasi als „Reliquie“ – zerlegt hatten. Jahrhundertelang knibbelten sie Späne aus dem Holz. „Der Ort“, sagt Krauß, „ist authentisch – weitgehend authentisch“.
Dabei war die Wartburg zu Luthers Zeiten viel weniger prachtvoll als heutzutage. Sie war weit entfernt von einem nationalen Denkmal und hatte ihre Blütezeit längst hinter sich. „Sie war ein Wirtschaftshof, von Soldaten bewacht“, erklärt Krauß. „Der Kurfürst ließ sich nicht mehr blicken.“
Der Gebäudeteil um die Lutherstube: „ein Kavaliersgefängnis“. Es war das ideale Versteck für „Junker Jörg“. Hier war Luther – nach dem Reichsbann durch den Kaiser quasi vogelfrei – im wörtlichen Sinn ‚aus der Schusslinie‘. Die Ideen der Reformation konnten sich weiter entwickeln.
Postmoderne Erinnerung
Luther wusste im Übrigen von seiner inszenierten Entführung. Vor dem Verstecken predigte er noch in der Georgenkirche in Eisenach. Und: Er besuchte auf dem Weg von Worms nach Eisenach noch Möhra, den Heimatort seiner Familie südlich der Stadt.
Vorbei an der historischen Bibliothek der Wartburg führt unser Weg dann über eine schmale Stiege zum Ausgang und zum Museumsshop. Die postmoderne Seite von 500 Jahren Reformationsgeschichte: „Teufels Tod“ leuchtet dort unter anderem in großen Lettern von einer Energy-Drink-Dose. Untertitel: Luther-Tinte.
Eine weitere Seite des Reformationsjubiläums: Souvenirs, die wenig mit der Authentizität der Räume eine Etage darüber zu tun haben. Geschuldet einem internationalen Publikum, die aus aller Herren Länder gerade hierher kommen: auf die Wartburg, das nationale Denkmal am nördlichen Ende des Rennsteigs.
Spiritueller Ort im Wald
Beim Abstieg lohnt ein kleiner Umweg: Er führt etwas unterhalb des Hauptpfades zu einer Lichtung im Wald. Ein kleines Plateau: Hier stand in der Vergangenheit ein der Heiligen Elisabeth gewidmetes Hosptial. Wir treffen auf frei gelegte Mauerreste und eine Statue der Elisabeth von Thüringen.
Heute ist der Elisabethplan ein spiritueller Ort der katholischen Gemeinde Eisenachs. In Sichtweite der Wartburg. Das nationale Denkmal mit einer konfessionsübergreifenden Anziehungskraft – quasi mit ökumenischer Bedeutung.
Information | |
Wartburg Auf der Wartburg 1 99817 Eisenach Sonderausstellung "Luther und die Deutschen" bis zum 5. November 2017 Öffnungszeiten Täglich 8.30–17.30 Uhr (letzter Einlass) Schließung des Burgtors um 20 Uhr. Tickets (inkl. Wartburg) Einzelticket: 12 € Ermäßigt (bis 6 Jahre frei): 8 € Schüler: 5 € Gruppen (ab 10 Personen): 10 € p.P. Kombiticket (alle drei Nationalen Sonderausstellungen): 24 € Kombiticket Gruppe: 21 € p.P. Telefon 03691 250-0 E-Mail senden Weitere Informationen |
Orte der Reformation im Radio
Die Blogbeiträge unserer Serie „Orte der Reformation“ begleiten eine gleichnamige Reihe im Sonntagsmagazin „kreuz & quer“ bei Radio MK mit Moderatorin Sabine Langenbach. Zu hören sind sie Sonntagsmorgens zwischen acht und neun im Livestream – oder im Mitschnitt als Podcast hier:
Serie Orte der Reformation – Folge 6: Beitrag Wartburg
Dieser Text gehört zur Blogparade `Mein Sommer: Zwischen Brotjob, Kultur und Ferien´. Kulturmacher*innen und Kulturschreiber*innen, die sich dieser Aktion anschließen wollen, finden die Teilnahmebedingungen unter https://kulturblogclub.wordpress.com/2017/06/21/einladung-aktion-sommer-zwischen-brotjob-kultur-ferien/
Die vorangegangenen Beiträge der Serie „Orte der Reformation“:
Folge 1: Erfurt
Folge 2: Eisenach – Altstadt
Folge 3: Eisleben
Folge 4: Mühlhausen
Folge 5: Bad Frankenhausen
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