Orte der Reformation – Folge 3: Eisleben
500 Jahre Reformation: Wir setzen unsere Reise durch Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt fort. Wir folgen Wanderern, Radfahrern und Pilgern auf den Lutherwegen durch den Reformationssommer. Wir besuchen Städte, in denen Martin Luther lebte und wirkte und kommen aber auch in Orte, an denen seine Mitstreiter und Widersacher ihre Spuren hinterlassen haben. Das Mansfelder Land ist die Heimat von Martin Luther. In Eisleben wurde er geboren und getauft. Mehr noch: 1546 endete hier sein Lebensweg. Unser dritter Stopp.
„Von daher bin ich“
Wanderer, kommst du nach Unterrißdorf… Dies soll nun keine literarische Anleihe bei Heinrich Böll sein, vielleicht schon eher so etwas wie eine Reisewarnung. Denn: Wanderer, kommst du nach Unterrißdorf, spürst du vielleicht den Fallwind und einen Temperaturunterschied von wenigen Graden. Luther schon hat ihn auf jeden Fall wahrgenommen und vermerkt – auf seiner letzten Reise von Wittenberg nach Eisleben. Im Winter 1546 erlitt er an der „Kalten Stelle“ eine Herzattacke. Der gekennzeichnete Lutherort, gut fünf Kilometer nordöstlich vor der Stadt, ist eindeutig lokalisierbar. Das klimatische Phänomen an einer Geländekante im Mansfelder Land: damals wie heute bekannt.
Folgen wir von hier aus dem Weg in die Stadt, kommen wir am Kloster Helfta vorbei. 1258 ließen sich Zisterzienserinnen von Mansfeld kommend hier nieder. In der Folge der Reformation wurde das Kloster säkularisiert. 1999, mehr als 450 Jahre später, ließen sich hier erneut Nonnen nieder. Auf dem weitläufigen Areal mit der 1257 geweihten Kirche und den wiedererrichteten klösterlichen Trakten befinden sich nun ebenfalls ein Seniorenheim und ein Hotel.
Spätmittelalterliche Sozialgeschichte
Die Altstadt beginnt nur wenige Kilometer entfernt stadteinwärts. Luthers Geburtshaus liegt ein wenig vorgelagert – vom Stadtmarketing gern als „Tor zur Altstadt“ bezeichnet. Das Gebäude aus dem 15. Jahrhundert brannte 1689 zwar fast vollständig ab. Rekonstruiert steht es auf historischem Grund. Dem Hof schließt sich ein funktionaler Neubau an – der Eingang von Gedenkstätte und Museum. Der Besuch lohnt sich, beleuchtet das Haus vor allem Luthers Familie.
Seine Eltern kamen aus dem Eisenacher Raum nach Eisleben. Martin Luthers Vater war Bergarbeiter und erhoffte sich hier ein besseres Auskommen. Ein Stück spätmittelalterliche Sozialgeschichte. Die mehr als 250 Exponate geben aber auch Einblick in die Frömmigkeit und Lebensumstände der Familie. Am 10. November 1483 wurde Martin Luther an diesem Ort geboren, tags drauf in der nur gut hundert Meter entfernten Kirche St. Petri und Pauli getauft. Der Patronatstag des Heiligen Martin bescherte Luther seinen Vornamen.
Heilige Anna
Es gibt Hinweise darauf, dass Luther in der Turmkapelle getauft wurde. Ein auf die Heilige Anna geweihter Altar und ein alter Taufstein erinnern an die Bedeutung der Kirche, sind aber kein historisches Inventar zur Zeit von Luthers Taufe. Der Altar stellt aber einen Bezug her zu Luthers Eintritt in den Orden der Augustiner Minoriten. Als Luther nach einer Schreckensnacht im Gewitter Mönch wurde, schwor er seinen Entschluss der Heiligen Anna.
Apropos Eintritt in das Ordensleben: Das Geburtshaus thematisiert auch Luthers über zwei Jahrzehnte gestörtes Verhältnis zu seinem Vater nach dem Eintritt ins Kloster. Erst nach der Hochzeit mit Katharina von Bora söhnten sich die beiden aus.
„Zentrum Taufe“ mit Brunnen
Schon beim Betreten von Luthers Taufkirche fällt mir die helle Gestaltung des bis 2015 komplett restaurierten Gotteshauses auf. Kanzel, Altar, Kerzenleuchter sind aus massivem, in warmen Tönen leuchtenden Holz. Puristisch wirken die Gegenstände vor den hellen Wänden und Säulen. An der Wand Portraits von Martin Luther und Philipp Melanchton.
Ein großer, in die Erde eingelassener Taufbrunnen betont die Bedeutung, die diese Kirche für Luther hatte. Vor allem seine Taufe war es, die ihn mit Eisleben verbindet. St. Petri und Pauli hat – nicht zufällig – heute eine pastorale Bedeutung. Die Kirche ist „Zentrum Taufe“. Die Moderne in den alten Mauern, verbunden mit dem theologischen Konzept fasziniert.
Dunkler Kirchenraum
Jedes Jahr, am Martinstag führt nach einem Tauferinnerungsgottesdienst ein Laternenumzug zum Luther-Denkmal am Markt. Wir folgen der Route. Der Weg führt vorbei an restaurierten Fassaden, verfallenen Häusern und – auffällig – architektonischen Ensembles historischer Bebauung und modernen Baustilen. Ein Ergebnis der internationalen Bauausstellung „StadtBauRaum“. Geburts- und Sterbehaus Luthers sind selbst Zeugnis dieser gelungenen Verbindung von Altbau und moderner Architektur.
Vorbei am Denkmal, führen rechts vom Rathaus Treppen steil hinauf zur Andreaskirche. Bauzäune und Bauarbeiter, Kabel und Schläuche weisen auf Renovierungsarbeiten hin. Ebenso, gleich neben dem Eingang die demontierte Turmspitze und Wetterfahne. Der Kirchenraum wirkt dunkel, Respekt einflößend.
Weiterer Ort der Einnerung
Ein wenig wird hier die düstere Zeit des ausgehenden Mittelalters lebendig. Im Original erhalten die Kanzel, von der Luther seine letzten Predigten hielt. Im Seitenschiff Büsten von Luther und Melanchton: schwarz, puristisch, im Schein der schräg einfallenden Nachmittagssonne. Zeugnisse der Lutherverehrung und -erinnerung, die hier im Mansfelder Lad schon früh gepflegt wurde.
Schräg gegenüber vom Hauptportal der Eingang zu Luthers Sterbehaus – ein weiterer Ort der Erinnerung. Durch einen Torbogen führt der Weg in den Innenhof mit einem verglasten Neubau: eine Dauerausstellung über die letzten Tage des Reformators. Interessant: die Auseinandersetzung mit Luthers Theologie des Sterbens.
Ausstellungsteil befremdet
Fast schon minutiös zeichnet die Ausstellung dann die letzten Tage des Reformators in Eisleben nach – visualisiert mit historischen medizinischen Geräten und modernen Medikamenten. „Too much“, denke ich. Zu viel. Diese Inszenierung erscheint mir – bei aller Rekonstruierbarkeit aufgrund der Aufzeichnungen von Luthers Weggefährten – zu detailliert, zu boulevardesk. „Wie würde der Medienprofi Luther die Nachzeichnung im Stil von People-Magazinen oder Yellow-Press beurteilen?“, schießt es mir durch den Kopf.
Der Historismus des 19. Jahrhunderts – die falsche Lokalisierung des Hauses eingeschlossen – mit der Rekonstruktion der Räume im 2. Obergeschoss: geschenkt! Es ist der Ausstellungsteil über die letzten Tage und Stunden, der befremdet. Der Blick vom Schreibpult in der historischen Stube durch die bleiverglasten Fenster auf das Hauptportal der Andreaskirche wirkt demgegenüber surreal.
Zeitgemäß aufgearbeitet
So spannend und so akzentuiert, wie ich in den vergangenen Monaten all die Ausstellungen und Stätten der Erinnerung erlebt habe: Luthers Sterbehaus stimmt mich nachdenklich. Wenn man Ausstellungsfläche und – sowohl theologische als auch kirchengeschichtliche – Essenz in Beziehung setzt, führt das quasi minutiöse Nachzeichnen Luthers letzter Tage in eine Heroisierung, die Kritikern einer vermeintlichen Überhöhung Luthers Wasser auf die Mühlen gibt.
Als Essenz bleibt: Luthers theologische Auseinandersetzung mit dem Sterben und Tod sind zeitgemäß und beeindruckend aufgearbeitet. Auch auf meine Frage „Was war eigentlich mit Katharina Luther nach seinem Tod“ gibt die Ausstellung Antwort.
Tiefergehende Herausforderung
Auf dem Weg zurück zum Geburtshaus denke ich an ein Interview mit Daniel Leis, das ich am Abend zuvor geführt habe. Der für Eisleben zuständige Wissenschaftler der Stiftung Luthergedenkstätten wies auf die Problematik des Geburts- und Sterbehauses hin. Das Geburtshaus wurde nach einem Brand neu errichtet, das Sterbehaus aufgrund mangelnder Dokumentation im 19. Jahrhundert falsch lokalisiert. Einher gehe damit im Mansfelder Land die intensive Pflege der Erinnerung an den Reformator, die schon kurz nach seinem Tod, Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzte. Für mich: eine Gefahr der Verklitterung.
Und gerade deshalb: Ein Besuch beider Häuser und der Eislebener Kirchen lohnt sich. Allein schon, weil Luthers Ansichten zu Taufe und Tod an kaum einem anderen Ort so prägnant und publikumsnah herausgearbeitet werden. Die theologische Dimension seines Verständnisses von Glaube und Kirche wird hier deutlich. Eisleben ist damit weniger ein bloßes Hineinversetzen in die Zeit der Reformation, sondern vielmehr eine tiefergehende Herausforderung.
Information | |
Tourist-Information Lutherstadt Eisleben & Stadt Mansfeld e.V. Hallesche Str. 4-6 06295 Lutherstadt Eisleben Öffnungszeiten Mo, Mi-Fr: 10.00 - 17.00 Uhr Di: 10.00 - 18.00 Uhr Sa: 10.00 - 14.00 Uhr Telefon 03475 602124 E-Mail senden Weitere Informationen | [© Foto: Uwe von Schirp] |
Orte der Reformation im Radio
Die Blogbeiträge unserer Serie „Orte der Reformation“ begleiten eine gleichnamige Reihe im Sonntagsmagazin „kreuz & quer“ bei Radio MK mit Moderatorin Sabine Langenbach. Zu hören sind sie Sonntagsmorgens zwischen acht und neun im Livestream – oder im Mitschnitt als Podcast hier:
Teaser Serie Orte der Reformation – Folge 3: Eisleben
Beitrag Serie Orte der Reformation – Folge 3: Eisleben
Dieser Text gehört zur Blogparade `Mein Sommer: Zwischen Brotjob, Kultur und Ferien´. Kulturmacher*innen und Kulturschreiber*innen, die sich dieser Aktion anschließen wollen, finden die Teilnahmebedingungen unter https://kulturblogclub.wordpress.com/2017/06/21/einladung-aktion-sommer-zwischen-brotjob-kultur-ferien/
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